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Vorwort: Es ist fraglos ein gewagtes Unterfangen, eine solch alte, umfangreiche und vielschichtige Sage im Rahmen eines Kommentars zu einem Jugendhörspiel aus dem Jahr 1967 rückblickend und aus der Sicht eines Erwachsenen zu behandeln. Zum einen gibt es zahllose Fassungen, Bearbeitungen und Deutungen, welche die Nibelungensage zum Inhalt haben, sodass man bereits bei dem Versuch, hier eine auch nur halbwegs übersichtliche Arbeit zu leisten, scheitern muss. Zum anderen soll eben auch das Hörspiel als solches der Dreh- und Angelpunkt der Betrachtung sein, sodass eine gewisse Konzentration auf den verarbeiteten Stoff, so, wie er nun einmal vorliegt, und dessen Umsetzung geboten scheint. Gleichwohl gilt es, etwas weiter auszuholen, um einen nachvollziehbaren Kommentar zu präsentieren. |
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Die Vorlage: Unter Auslassung gesicherter historischer Fakten ist die Handlung der Nibelungensage im 5. und 6. Jahrhundert angesiedelt. Siegfried (auch: Sigurd), der Sohn von König Siegmund und Königin Sieglind, die über Xanten herrschen, wird ausgesetzt, wächst im Wald auf und findet schließlich den Weg zu Mime, dem Schmied und Köhler. Aus Angst vor Siegfrieds Kraft stiftet Mime den inzwischen jungen Mann an, gegen den Drachen Fafner zu kämpfen. Mime hegt dabei die Hoffnung, dass Siegfried sein Leben verlieren wird. Es gelingt dem Recken jedoch, den Drachen zu töten, und als er in Kontakt mit dessen Blut kommt, treten zwei Dinge ein: Siegfried versteht von nun an die Sprache der Vögel und wird gleichzeitig dort unverwundbar, wo das Blut des Drachen seine Haut benetzt. Bei einem Bad im Drachenblut bleibt eine Stelle am Rücken versehentlich frei. Fafner war allerdings auch der Hüter des Schatzes des Königs Nibelung. Als Siegfried nun die Höhle betritt, in der der Schatz verborgen liegt, kommt es zum Streit mit den Söhnen und Erben des Königs. Schließlich erschlägt Siegfried die Nibelungen und nimmt einen Teil des Schatzes, das Schwert Balmung, an sich. Einziger Überlebender des Kampfes bleibt Alberich, der seine Tarnkappe, die ihren Träger unsichtbar macht, ebenfalls an Siegfried abtreten muss. Mit diesen Attributen macht sich Siegfried auf nach Worms, um dort um die Hand von Prinzessin Kriemhild anzuhalten, der Schwester König Gunthers. Alberich bleibt als Hüter über den Schatz zurück. Am Hof zu Worms steht man dem Werber zurückhaltend gegenüber, da in Siegfrieds Kraft eine Gefahr für das Reich der Burgunden gesehen wird. Vor allem Hagen von Tronje warnt den König. So bleibt Siegfried zunächst nur als Gast, ist aber ein gern gesehener Verbündeter, als Sachsen und Dänen den Burgunden den Krieg erklären. Nach dem Sieg über die Feinde verlangt König Gunther von Siegfried einen weiteren Beweis seiner Treue: Er soll helfen, Brunhild, die mächtige Königin von Island, zu bezwingen. Solange sie noch Jungfrau ist, verfügt sie über übermenschliche Kräfte, denen niemand gewachsen ist. Siegfried sagt die Hilfe zu, um Kriemhild heiraten zu können. Auf Island angekommen vermutet Brunhild, dass es Siegfried ist, der um sie freien möchte, und fühlt sich durch die Werbung Gunthers gedemütigt. Siegfried gibt sich hingegen als Gefolgsmann Gunthers aus und besiegt - unsichtbar unter seiner Tarnkappe - Brunhild während ihres Zweikampfs mit Gunther. Brunhild gibt sich geschlagen und willigt in die Ehe mit ihrem vermeintlichen Bezwinger, dem König von Burgund, ein. Zurück in Worms heiratet Siegfried nun Kriemhild als Lohn für seine Dienste. Brunhild, immer noch gedemütigt durch ihre Heirat mit Gunther und immer noch voller Zweifel an dem ehrlichen Ablauf des Kampfes auf Island, verweigert sich Gunther im Ehebett. So muss dieser Siegfried erneut um Hilfe zu bitten. In der Nacht betritt dann Siegfried anstelle Gunthers das Schlafgemach und entjungfert gewaltsam Brunhild, die nun ihrer übermenschlichen Kräfte beraubt ist. An dieser Stelle sei ein Zitat aus dem Hörspiel erlaubt, welches die Situation zu diesem Zeitpunkt nicht besser beschreiben könnte:
»Nach hartem Kampf entwich Siegfried unbemerkt aus dem Gemach. Siegfried und Kriemhild kehren nach ihrer Hochzeit zu Siegfrieds Eltern zurück. Als sie nach einigen Jahren eine erneute Einladung nach Worms erhalten, folgen sie dieser. Ein Streit zwischen Brunhild und Kriemhild, wer am Sonntag das Münster zur Abendmesse als Erste betreten dürfte, endet damit, dass Kriemhild Brunhild vor aller Augen den Ring und den Gürtel präsentiert, die sie nur von Siegfried erhalten haben kann. Ein weiteres Mal gedemütigt sucht Brunhild nun Hilfe bei Hagen von Tronje, dem die Macht und die Kraft Siegfrieds ja von Beginn an als gefährlich erschienen. Hagen kann König Gunther davon überzeugen, dass Siegfrieds Tod zur Rettung Burgunds unumgänglich ist und ihnen zugleich der Schatz der Nibelungen zufallen würde. Gunther willigt zögernd in den Plan ein. Hagen von Tronje entlockt Kriemhild unter einem Vorwand das Geheimnis von Siegfrieds Unverwundbarkeit und bringt sie sogar so weit, die ungeschützte Stelle am Rücken mit einem Kreuz auf seiner Kleidung zu markieren. Bei einer Jagd sorgt Hagen dafür, dass er und Siegfried allein zu einer Quelle laufen. Dort tötet er Siegfried durch einen Speerwurf in den Rücken. Kriemhild erkennt natürlich, dass sie es war, die dem Mörder Tür und Tor geöffnet hat, aber ihr fehlen die Beweise. Als Hagen nun auch noch den von ihm gestohlenen Schatz der Nibelungen im Rhein versenken lässt, verlässt Kriemhild schließlich Worms, um ihre Rache vorzubereiten. Allein aus diesem Grund geht sie auch auf die Brautwerbung des Hunnenkönigs Etzel ein und wird seine Frau. Sie kann ihn überreden, den gesamten Hofstaat aus Worms einzuladen, ohne dass Etzel ihre Rachepläne erkennt. Hagen von Tronje ahnt die Gefahr, welche der Besuch am Hofe König Etzels birgt, kann aber nicht verhindern, dass König Gunther die Einladung annimmt. So machen sich die Burgunden mit ihrem Gefolge auf. Am Hofe Etzels eingetroffen mehren sich die Anfeindungen und Auseinandersetzungen zwischen den Gästen und den Gastgebern, bis es schließlich zu einem furchtbaren Gemetzel kommt, dem fast alle Burgunden zum Opfer fallen. Zu den wenigen Überlebenden gehören Kriemhild und Hagen von Tronje. Zur Vollendung ihrer Rache enthauptet Kriemhild den Mörder ihres Mannes und verliert darauf selbst ihr Leben. |
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Eine vorsichtige Deutung: Der ganze Mythos ist eine Allegorie um die menschlichen Schwächen: Eitelkeit, Machtmissbrauch, Lügen, Gier, Egoismus und moralische Verwahrlosung bestimmen das Handeln. Es gibt keinen wirklichen Helden in dieser Geschichte, nicht einmal Siegfried ist einer. Ständig getrieben von seinem Geltungsbewusstsein muss er jedermann beweisen, dass er der Stärkere ist. Der Drache wird grundlos erschlagen, ebenso wie die Söhne des Königs Nibelung. Um Kriemhild zu bekommen ist er ohne Weiteres bereit, bei dem Betrug auf Island mitzuwirken und Brunhild zu täuschen. Selbst vor einer Vergewaltigung Brunhilds schreckt er später nicht zurück und brüstet sich damit - durch die Übergabe von Ring und Gürtel - sogar vor seiner eigenen Ehefrau. Aber auch Kriemhild ist nicht nur Opfer. Anfänglich erscheint sie noch als die zurückhaltende Schwester des Königs, doch als es um das Vorrecht geht, das Münster vor Brunhild betreten zu dürfen, opfert sie die Ehre der Konkurrentin, verrät ihren eigenen Mann und setzt den Auftakt für all die furchtbaren Ereignisse, die dann folgen. Am Ende ist sogar sie es, die eine Zweckehe mit König Etzel eingeht und Hunderte in den Tod schickt, nur um ihre Rachegelüste zu befriedigen. König Gunther ertrügt sich seine Ehe und ist später bereit, Siegfried zu opfern, um seine Intrigen nicht offenbar werden zu lassen. Brunhild verbündet sich aus gekränkter Eitelkeit mit Hagen von Tronje, nur um sich ihrerseits an Siegfried rächen zu können - wohl wissend, dass Hagens Pläne den Tod des Recken bedeuten. Der Einzige, dem man noch zumindest zu einem Teil ehrenhafte Motive unterstellen kann, ist, so seltsam es klingen mag, Hagen von Tronje. Natürlich geht es auch ihm um Macht und Reichtum, aber eben auch darum, die Gefahr, die von Siegfried ausgeht, zum Wohle der Burgunden zu bannen. Und er begleitet seinen Herrscher zu König Etzel in der Gewissheit, dass sie alle in eine von Kriemhild gestellte Falle laufen und nicht zurückkehren werden. Ohne hier zu weit ausholen zu wollen, aber in mir kommt wirklich die Frage auf, inwieweit sich der Mensch moralisch in den letzten 1500 Jahren weiterentwickelt hat. Denn selbst wenn die in der Nibelungensage enthaltenen Ereignisse nicht wirklich geschehen sind und nur ein moralisches Märchen bilden: Was unterscheidet uns Menschen heute - abgesehen vom Stand der Technik - in unserem Kern von Siegfried & Konsorten? |
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Das EUROPA-Hörspiel: Nachdem über 50 Jahre zwischen dem Aufnahmedatum der Produktion und diesem Kommentar liegen, ist zunächst festzuhalten, dass sich natürlich im Hörspielbereich grundlegende Veränderungen ergeben haben. Die Einspielung vermittelt fast den Eindruck einer Bühnenproduktion mit wortgewaltigen Auftritten und Texten sowie eher sparsamen Musik- und Geräuscheinsätzen. Den Kinderohren von heute muss das Hörspiel sogar bisweilen ungewohnt vorkommen, fehlt es doch gänzlich an der Eliminierung von aus heutiger Sicht unwillkommenen Details in der Handlung, dem Zeitgeist angepassten Texten und Wohlfühlmusik. Auch mag man der Produktion eine erhebliche Theatralik vorwerfen können, aber es ist doch gleichwohl nicht zu bestreiten, dass alle Sprecher den Figuren absolut überzeugendes Leben einhauchen. Konrad Halvers Siegfried ist von Beginn an im Heldenmodus, was der Aufnahme nicht schadet, aber der von mir oben vorsichtig versuchten Interpretation eher entgegenläuft. Siegfried ist kein netter Kerl, sondern ein Aufschneider, ein Gernegroß, der nicht in der Lage ist, sich einzufügen, geschweige denn, sich unterzuordnen. Zu einem ähnlichen Charakter entwickelt sich Kriemhild, und ich muss sagen: Die Wandlung, welche diese Figur durchmacht, wird von Dagmar Kottkamp (Dagmar Dorsten) tadellos abgebildet. In der Szene mit ihrer Mutter Ute ist sie noch das behütete, zaghafte Wesen, während sie spätestens ab der Szene vor dem Wormser Münster zur Furie wird. Auch Benno Gellenbeck lässt gekonnt den feigen Mitläufer heraushören, als König Gunther Siegfried ans Messer liefert, um seinen eigenen Hals aus der Schlinge zu ziehen. Die Stars dieser Aufnahme sind für mich jedoch fraglos Heike Kintzel in der Rolle der Brunhild und Horst Fleck als Hagen von Tronje. Heike Kintzel ist in meinen Augen ohnehin eine Künstlerin, die trotz ihrer Vielfältigkeit nie die Aufmerksamkeit erhielt, die sie verdient hätte. Von 1966 bis 1971 war sie unter dem EUROPA-Label zu hören, und die ganze Bandbreite von Hexen über Stiefmütter, Schwestern, Wirtinnen, Prinzessinnen, Königinnen bis hin zu Dienstmädchen und Sparkassenangestellten beherrschte sie vorbildlich. Horst Fleck war über Jahre die markante Stimme der Wochenschau im Nachkriegsdeutschland, und natürlich muss man zugestehen, dass er in der Rolle des listigen Hagen von Tronje schon etwas chargiert. Aber ohne diese beiden, Heike Kintzel und Horst Fleck, würden der Aufnahme zwei fantastische Charaktere fehlen. Etwas enttäuschend ist der Umstand, dass das Hörspiel den Zuhörer, nachdem man den Schicksalen der Burgunden nahezu 52 Minuten gelauscht hat, mit einer vagen Ankündigung des Erzählers, die Vergeltung würde noch folgen, aus den Ereignissen entlassen wird. Es ist eine reine Spekulation, ob eine Fortsetzung geplant war, welche mit der Hochzeit zwischen Kriemhild und König Etzel ihren Anfang hätte nehmen müssen. Entweder hielt man den vorliegenden Teil der Nibelungensage für ausreichend, oder der baldige Tod der Regisseurin Sieglinde Dziallas schuf einfach eine neue Realität. Man sollte allerdings auch bedenken, dass die Ereignisse am Hof von König Etzel, so wichtig sie auch sein mögen, zum großen Teil nur aus Schlachtengetümmel bestanden und den Hörer sicher bald ermüdet hätten. |
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Ein notwendiger Seitensprung - »Die Nibelungen« von Rolf Ell:
Im Februar 1976 erhielt die EUROPA-Version ernsthafte Konkurrenz in Form des Zweiteilers »Die Nibelungen« nach einer
Hörspielbearbeitung von Rolf Ell, der auch Regie führte. Unter anderem veröffentlichte das Label »unsere welt« die
Aufnahme als Doppel-LP.
Musik wurde, abgesehen von einer kleinen, immer wiederkehrenden Fanfare, nicht verwendet. Während man für den Erzähler
Norbert Gastell auswählte - der erst später als deutsche Stimme von Homer Simpson Unsterblichkeit erlangen sollte -
wurden die Hauptrollen wie folgt besetzt:
Interessant ist hier, dass die Version von Rolf Ell meiner oben angedeuteten Interpretation deutlich näherkommt als die EUROPA-Produktion. Siegfried ist viel oberflächlicher angelegt, Brunhild sehr viel verschlagener und Hagen von Tronje hingegen fast ... besonnen, ja, weise. Kriemhild hingegen wandelt sich von der keuschen Schwester zu einer haltlosen Rachegöttin. Nachdem Siegfrieds Leiche gefunden ist, versuchen Kriemhilds Brüder sie zu überzeugen, dass Hagen von Tronje nicht anders handeln konnte. Durch Siegfried seien sie alle in Gefahr gewesen.
Kriemhild:
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Fazit: Abgesehen davon, dass ich die Nibelungensage ohnehin als einen wichtigen Teil der deutschen Literatur empfinde, mit dem sich eine Auseinandersetzung in jedem Fall auch ohne Hörspielbezug lohnt, lieferte man im zweiten Produktionsjahr der EUROPA-Hörspiele mit »Siegfried - Die Nibelungensage« in meinen Ohren einen Meilenstein ab. Die sicherlich etwas kantige Produktion kann sich neben den späteren Hörspielen wie »Ben Hur« (Regie: Konrad Halver), »Moby Dick - Die Jagd auf den weißen Wal« (Regie: Dagmar von Kurmin) oder »20 000 Meilen unter dem Meer« (Regie: Heikedine Körting) ohne Weiteres sehen und vor allem hören lassen. Das Engagement, welches die Schauspieler hier an den Tag legen, ist angesichts der seinerzeit nicht gerade üppigen Gagen und den Aufnahmebedingungen auf Wohnzimmerniveau durchaus beachtlich. Und wenn man wie ich die Aufnahme seit über 40 Jahren kennt, so bildet sie ohnehin einen unverzichtbaren Teil der Hörspielsammlung. |
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... an den abschließend mein respektvoller Dank geht, |
Und hier geht's zu Bennos Project, dem Kanal von Benno Lehmann. |
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