E 236




Kommentar von Pitichinaccio






so könnte man den Inhalt des Romans von Emmy von Rhoden zusammenfassen. Man läge damit auch nicht völlig neben der Sache, täte aber dennoch der Grundidee des Buches Unrecht. Und so möchte ich hier zunächst eine Lanze für die bei Erscheinen des Hörspiels fast 100 Jahre alte Vorlage brechen.

Die 15jährige Ilse Macket, deren Wesen von einer Mischung aus Emanzipation, Trotz und Kindlichkeit geprägt ist, wird von ihrem Vater auf das Internat von Fräulein Raimar geschickt, um dort erzogen zu werden. Viele Erlebnisse mit ihren Mitschülerinnen und Lehrerinnen, allen voran das einfühlsame Fräulein Güssow, lassen Ilse am Ende der Geschichte zu einer reifen jungen Frau werden.

Kritisch muss hier sicherlich angemerkt werden, dass Ilses individuelle Wesenszüge weggeschliffen werden. Ihre ungestüme Art, ihre Bereitschaft, alles vorbehaltlos in die Welt zu plappern, werden dabei in den Hintergrund gedrängt, um sie auf ein braves Leben an der Seite eines Mannes vorzubereiten. Denn selbstredend waren 1883 die Moralvorstellungen in Bezug auf ein junges Mädchen und dessen zu erwartende Lebensumstände komplett andere als in der Welt, die sich 1971 zeigte: Anstand und Unterordnung gehörten zu obersten Prinzipien, deren Einhaltung in gewisser Weise das (gesellschaftliche) Überleben garantierte. Darüber mag man heute denken, wie man möchte. Fakt ist aber, dass die Erziehung die Vorbereitung auf das Leben, wie es nun einmal ist, leisten muss - heute wie gestern. Und nicht alle Einsichten, die Ilse während ihrer Internatszeit gewinnt, haben in den erwähnten 100 Jahren an Bedeutung verloren. Dies beweist auch Fräulein Güssows Ratschlag recht eindringlich:




»Lerne nachgeben, mein Kind. Tust du es nicht, so nimmt das Leben dich in seine harte Schule und bereitet dir viel Leid und Kummer.«

(Charlotte Güssow)




Die Umsetzung des Stoffes durch Erika Kempe-Wiegand (Hörspielbearbeitung) und Konrad Halver (Regie) erfolgt recht angemessen. Das Hörspiel bietet keine eskapadischen Höhepunkte, präsentiert dem Hörer aber eine ruhige, untheatralische Szenerie, die - berücksichtigt man die oben gemachten Einschränkungen - die Botschaft der Erzählung glaubhaft transportiert.

Natürlich ist Wittmute Malik stimmlich etwas zu alt für ein pubertierendes Mädchen, aber sie schlägt sich wacker. Auch die meisten begleitenden Rollen gefallen durch eine überzeugende Interpretation: Dagmar von Kurmin als empathisches Fräulein Güssow, Sylvia Anders als strenge Internatsleiterin Fräulein Raimar, Ingeborg Kallweit als besonnene Mutter und nicht zuletzt Peter von Schultz als junger, sympathischer Lehrer Dr. Althoff. Allein Reinhilt Schneider scheitert ein wenig an dem englischen Akzent von Ilses Freundin Nellie Grey.

Begleitet werden die Szenen von gefälliger Klaviermusik, welche sich gut in die Szenerie einfügt und erst Jahre später wieder in der Wohnung von Catherine Muxley (»Macabros (6) Der Blutregen«) wiedererklingen sollte, bevor die alte Dame gemeinsam mit ihren Katzen dem Fluch der Ursen zum Opfer fällt.

Ein abschließendes Lob gilt Hans Paetsch, der wie gewohnt tadellos durch die Geschichte führt und das Hörspiel mit einem großartig vorgetragenen Brief Fräulein Güssows beschließt.

Gute, alte Hörspielzeit.





Bewertung: