Der vielleicht populärste Roman Karl Mays diente als Vorlage des ersten und wohl erfolgreichsten der sogenannten
Karl-May-Filme, die Anfang der 1960'er Jahre in die deutschen Kinos kamen. Wohl aus demselben wurde der Roman auch bei
EUROPA als Auftakt der Karl-May-Hörspiele umgesetzt. Unter der Hörspielbearbeitung und Regie Konrad Halvers, der erst im
Jahr zuvor bei EUROPA angeheuert hatte, entstand hier ein Geniestreich, der sich über Jahrzehnte auf Plattentellern, in
Cassettenrecordern und zuletzt in CD-Spielern bewähren sollte. Grundsätzlich positiv zu bewerten ist die Idee, den
komplexen Roman auf insgesamt zwei Langspielplatten von jeweils über 43 Minuten Spielzeit zu verteilen. Es wäre
lohnenswert gewesen, wenn man dieses Arbeitsprinzip für weitere Vertonungen beibehalten hätte. Der Roman ist bis auf
wenige, sinnvolle Kürzungen und unter Auslassung einiger Charaktere wie Gunstick Uncle sowie Lord Castlepool geschlossen
vertont worden.
In dieser ersten Folge dominieren die beiden Charaktere Cornel Brinkley und Old Firehand. Peter Folken hat hier in der
Verkörperung des Roten Cornels Hörspielgeschichte geschrieben. Old Firehand wird von Benno Gellenbeck
markig-beeindruckend dargestellt. Der Roman ist hier handlungsstark und spannungshaltend umgesetzt worden.
Dampfgeräusche und Wassergegurgel wechseln mit kurzen, orchestralen Musikeinsätzen.
Auffallend ist der Umstand, daß neben der Beschreibung von Gewaltszenen dieselben auch beeindruckend zu Gehör gebracht
werden. Kurzum: In diesem Hörspiel geht die Post ab! »Und kaum erblickte das Raubtier den Bändiger, hatte es dessen
Kopf schon im Rachen und zerkrachte ihn mit einem einzigen Biß zu Splittern und Brei.« Zwar mag das daran
anschließende Geräusch - es soll sich um die Geräuschkonserve einer einstürzenden Holzbrücke handeln - ein wenig zu
drastisch klingen, doch der vorangestellte Satz ist fast genau in dieser Form bei Karl May nachzulesen. Noch weitere
Passagen ähnlichen Kalibers folgen: »... und schreiend sank er rücklings zu Boden.«, »... da erhielt er von
ihm einen solchen Tritt in den Magen, daß er ohnmächtig zu Boden sank.« und »Ein gezielter Stich ins Herz, und
das Opfer sank röchelnd zu Boden.« Da wird skalpiert, getötet »wie die Fliegen« und am Schluß werden Leichen
gezählt. Das klingt, wenn man nur die seichte Umsetzung der Filmversion kennt, natürlich sehr gewöhnungsbedürftig, aber
es ist eben der wahre Karl May.
Dem aufmerksamen Hörer müssen dagegen einige technische Fehler viel deutlicher auffallen: Der Schrei einer Frau kurz
nach der Ankündigung des Tierbändigers, daß sich im Käfig ein schwarzer Panther befindet, setzt zu spät ein und wirkt
unangemessen hysterisch. Kurz nach dem Ausbruch des Panthers wird wiederum ein Schrei ausgestoßen. Hier nun stimmt die
Einlage. Im Kampfgeschrei am Ende der ersten Seite ist im Hintergrund auch Gelächter zu hören. Es handelt sich um
dieselbe Gelächteraufnahme, die man anfangs auf dem Dampfer als Gelächter der Tramps vernimmt. Der Cornel stöhnt vor
Schmerzen und antwortet dann von einer Sekunde zur anderen völlig problemlos auf die Fragen Old Firehands. Auch
sprachliche Holperer sind zu verzeichnen: Nach Hans Paetsch Paetsch handelt es sich um einen Black Beer-Fluß ("Bier")
statt einen Black Bear-Fluß ("Bär"). Paetsch spricht auch den Namen des Flusses Arkansas (phonetisch richtig:
"Ar-ken-sor") falsch aus. Diese äußeren Unstimmigkeiten mindern jedoch nicht Spannung und Dichte dieser Umsetzung.
Kuriosa: Für Benno Gellenbeck war »Der Schatz im Silbersee« kein Neuland. Er hatte in der Philips/FASS-Version des
Hörspiels 1962 den Häuptling »Großer Wolf« gesprochen und war im selben Jahr auch als Synchronsprecher des Woodward in
der Verfilmung von »Der Schatz im Silbersee« zu hören.
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