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Kommentar von Christoph





»Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.«

(Markus-Evangelium, 10.25)




Ich finde, besagtes Gleichnis aus dem Markus-Evangelium trifft ganz gut eine der Kernaussagen, welche Wilhelm Hauff in seinem Märchen aus den Jahren 1827/28 wohl auch thematisieren wollte. Und eigentlich ist es doch auch so. Damals wie heute passen Reichtum, Macht, Luxus und all die vermeintlich erstrebenswerten Dinge im Grunde genommen nicht zu dem, was wir uns in unserem Gegenüber wirklich wünschen. Kann ein Mann oder eine Frau superreich und gleichzeitig tugendhaft sein - dies bis in allerletzte Konsequenz?

Es wird sicherlich oftmals versucht, dies so darzustellen. Man denke nur an einen wirklich übermächtigen Online-Versandhandel. Auch wenn dessen Betreiber tausendmal versuchen sollten, sich als Gönner beziehungsweise Retter der Menschheit aufzuspielen, sei es durch großzügige Spenden oder beispielsweise auch durch verheißungsvolle Versprechen, etwas für unsere geplagte Umwelt zu tun, so fußt deren Macht und Einfluss dennoch auf einem unbarmherzigen und nicht gerade als moralisch zu bezeichnendem System.

Geringe Löhne, schlechte Arbeitszeiten sowie Arbeitsbedingungen, straffe Hierarchien, Lobbyismus etc. sowie eine konsequente und rücksichtslose Umsetzung auf eine gewinnmaximierende Zielsetzung, sind die Evangelien, die diese Herren in Wahrheit predigen und mit denen der Rest der Welt einfach klarzukommen hat. Das alles ist eigentlich kein Geheimnis, und ich bin mir ziemlich sicher, dass es in anderen Kulturkreisen ähnliche sinnbildliche Gleichnisse (wie das mit dem berühmten Kamel) gibt, die uns genau dies veranschaulichen sollen.

Auch geht es im vorliegenden Märchen um ein wohl uns allen sehr vertrautes Thema: der Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen, zwischen Gott und dem Teufel, zwischen dem (aufrechten und tugendhaften) Christen und dem Antichristen, der mit allen Mitteln zu triumphieren versucht.

Hier ist es Peter Munk, der (wahrscheinlich stellvertretend für uns alle) zum Spielball der konkurrierenden Mächte wird. Er ist ein armer Köhler, der sich und seine Mutter mit harter Arbeit lediglich über Wasser halten kann. Zu mehr reicht es nicht. Seiner Mutter, aus welcher Weisheit und Lebenserfahrung spricht, scheint dies durchaus zu genügen. Doch Peter möchte mehr, als einfach nur über die Runden zu kommen und erliegt schon bald fatalen Versuchungen, indem er zumeist falschen Idolen nacheifert.

Auch wenn Peter auf den ersten Blick von Neid zerfressen scheint, so ist es doch eher der Wunsch auf ein besseres Leben, das ihn in den dunklen Tannenwald führt. Eher edle Gefühle und erstrebenswerte Ziele, es den Erfolgreichen gleich zu tun, lassen ihn nach dem Glasmännlein suchen, von dem ihn seine Mutter erzählt hat. Dieses kleine Männlein, auch Schatzhauser genannt, soll ihm bei seinem Vorhaben behilflich sein. Auf der anderen Seite gibt es dann noch den Holländer-Michel. Im Gegensatz zum Glasmännlein, welches eher in Rätseln spricht, erscheint dieser für Peter jedoch, obgleich er eigentlich tot sein müsste, realer und greifbarer. Auch ist er nicht klein, wie das Glasmännlein, sondern riesengroß.

Sehr interessant finde ich auch, dass beide ihre körperliche Große verändern können - dies in Ausnahmesituationen. So vergrößert sich Michel noch einmal immens, um Peter den Eintritt in sein Reich des Bösen zu ermöglichen. Das Glasmännlein hingegen nutzt ebenfalls eine Voluminierung, um Peter in allerletzter Minute noch vor dem Bösen zu bewahren, auf dass das Gute am Ende dennoch siegen darf. Der Schatzhauser und der Holländer-Michel, beide können dem armen Peter zum Glück verhelfen - jeder auf seine Art. Es ist natürlich sofort klar, dass das Glasmännlein die gute Seite vertritt und der Holländer-Michel die böse. Gut und Böse, Recht und Unrecht, also die ewigen Kontrahenten ...

Genial ist es, dass eigentlich weder das Männlein, noch der Michel im Hörspiel hätten näher beschrieben werden müssen, so hervorragend besetzt hat man beide Rollen. Getan hat man es freilich dennoch. Und es ist einfach nur ein Ohrenschmaus, dabei zuzuhören, wie der Erzähler Joachim Rake dies tut. So ist man von Anfang an, in diesem "herz"-ergreifenden Hörspiel, welches mit einer Spieluhr eingeläutet wird, gefangen. Auch gefallen mir etwa die genauen Beschreibungen der landesüblichen Trachten sehr gut, auch wenn diese wohl nur eine untergeordnete Rolle spielen. Als Eröffnung ist diese jedoch meiner Meinung nach eine gekonnte Variante.

Auch ist es wirklich wunderbar, mit anzuhören, wie genial Konrad Halver der Gestalt des armen Köhlers aus dem Schwarzwald eine Seele einhaucht. Man kann sich durch seine Art der Interpretation sehr schön in die Geschicke und Wünsche Peters hineinversetzen - Empathie von der ersten bis zur letzten Sekunde. Ja, man leidet mit dem armen Teufel. Man bedauert seine Not, empfindet Verständnis für sein Bestreben, zweifelt an seinen späteren Handlungen und hat gar noch Mitleid mit ihm, als er am Schluss das Liebste durch eigene Hand zu verlieren scheint.

Das Glasmännlein, welches vom großartigen Horst Beck gesprochen wird, kann eigentlich gar nicht anders sein, als klein. Hingegen erscheint es nahezu unmöglich, dass Herbert A. E. Böhme mit seiner übergewaltigen Stimme einer kleinen Person seine Stimme schenkt. Einfach genial. Umgekehrt wäre es einfach nicht möglich. Dann weiß man natürlich, dass Peter Munk ein armer Köhler ist. Denkt man sich nun seine Mutter ins Hörspiel hinzu, so liegt es eigentlich schon fast auf der Hand, dass diese lediglich von Katharina Brauren gesprochen werden kann. Ebenso ergeht es mir mit Peters späterer Frau - der Lisbeth. Wer, außer Reinhilt Schneider, hätte diese zarteste Blume des Schwarzwaldes noch verkörpern können?

Ich kann es nur immer wieder betonen. Das, was damals in den Hörspielstudios (manches waren ja eher Wohnzimmeraufnahmen) auf die Beine gestellt wurde, übertrifft das, was heute unter Hightech-Bedingungen produziert (man beachte, welch seltsam negativen Touch das Wort "produziert" in diesem Zusammenhang hat) wird, um Längen. Hier beispielsweise ein Bild: Peter unterhält sich mit seiner Mutter über seine verzweifelte Situation. Er erwägt sogar, sich etwas anzutun. Wenn man beide sprechen hört und dabei die Augen schließt, so hat man das Gefühl, man säße mit den Zweien am Tisch. Man fragt sich beinahe, wann endlich die Stelle kommt, an der man bemerkt, dass es sich lediglich um ein Hörspiel handelt.

Und dann ist es natürlich in diesem Falle auch die wirklich packende Geschichte Hauffs. Das Ringen zwischen Gut und Böse um die Seele (nichts anderes wird doch durch das Herz symbolisiert) des geplagten armen Mannes. Das Spiel mit dem Feuer, mit der Versuchung und letztlich das steinerne Herz, was wohl keinen von uns kalt lässt.

»Das kalte Herz« - ein super stimmiges Hörspiel, detailliert, ausführlich, vielleicht mit ein paar wenigen Längen, jedoch liebevoll umgesetzt und mit Sicherheit des öfteren Hörens wert.

Fünf steinkalte Mucks - natürlich.





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