E 2046 |
Kommentar von Pitichinaccio |
Schwierig. Wirklich schwierig. Das Problem, welches Heikedine Körting als Verfasserin der Hörspielbearbeitung und gleichzeitig als Regisseurin hier auf die Füße fällt, ist fast so alt wie Swifts Roman über den Seefahrer Lemi Gulliver selbst. Jonathan Swift (1667-1745) schrieb sein Werk nämlich in der Absicht, die menschlichen Schwächen und Eitelkeiten sowie die daraus resultierenden Absurditäten und Fehlentwicklungen auf humorvoll-kritische Weise aufzubereiten. Diese Satire ging manchen Zeitgenossen des 18. Jahrhunderts jedoch viel zu weit, so dass schnell "entschärfte" Versionen veröffentlicht wurden ... bis hin zu einer circa um die Hälfte gekürzten Ausgabe für Kinder. Tja, ideologische Zensur gab es eben zu jeder Zeit ... und die ist ja gerade auch wieder im Aufwind. Leider erlangte vor allem die für Kinder gedachte Fassung von »Gullivers Reisen« in vielen Ländern große Bekanntheit und ließ somit den Eindruck entstehen, bei Swifts Roman handele es sich um nicht mehr als eine Abenteuergeschichte für die jüngste Generation. Viele Ereignisse wurden dabei notgedrungen so verändert, dass sie im Ergebnis gar keinen rechten Sinn mehr ergeben. Ein plastisches Beispiel hierfür ist, dass Gulliver ursprünglich den Brand im königlichen Palast löscht, indem er hinein uriniert. In der "Kinderfassung" gießt er Meerwasser hinein, was nach den Regeln des Landes Liliput verboten sein soll. Da knirscht es doch schon arg in den Balken, die das Gerüst der Logik stützen sollen. Insoweit ist Heikedine Körting im Ergebnis gar kein Vorwurf hinsichtlich der teils etwas seltsamen und unausgewogenen Handlung zu machen, denn die für die "EUROPA Kinderserie" einzig in Frage kommende Buchvorlage erlegte ihr gewisse Grenzen auf. Man stelle sich nur vor, sie hätte diese überschritten und die eben erwähnte Szene mit dem brennenden Palast in ihrer originalen Version umgesetzt, eventuell mit einem entsprechenden Covermotiv! Und so verbleiben in der vorliegenden Hörspielfassung folgerichtig auch nur zwei der ursprünglich vier Abenteuer Gullivers, nämlich die Erlebnisse in Liliput und Brobdingnag - wobei der letzte Name im Hörspiel keine Erwähnung findet Von dem Hörspiel war ich schon als Kind enttäuscht. Während das Cover irgendeine Form von Riesen, Zwergen und deren Kampf vermittelte, so präsentierte die Geschichte für meine Ohren in viel zu ausführlicher Form die Probleme, die eben durch den Größenunterschied Gullivers im Vergleich zu seiner Umgebung entstanden. In Liliput drohte er, alles kaputt zu machen, in Brobdingnag war er dafür ständig in Lebensgefahr - ja, hatte ich verstanden, aber richtige Abenteuer, die mich als Zuhörer mitrissen, erlebte er irgendwie auch nicht. Die ganze Geschichte plätscherte höhepunktlos vor sich hin, was allerdings nicht nur an der verbliebenen Handlung lag. Denn hinzu kam die für mich nicht wirklich gelungene Sprecherwahl: Peter Kirchberger war nun einmal kein Held und durchlebte die ganzen Geschehnisse mit einem recht unbeteiligten Tonfall. Einen Wolfgang Kieling mit seiner vollen und wohlklingenden Stimme beschleunigte man unverständlicherweise auf königliche Zwergengeschwindigkeit. Andreas von der Meden, nicht ganz zu Unrecht der Sonnyboy der damaligen EUROPA-Aufnahmen, übertrug man die Rolle des bösartigen Hofzwerges, und selbst Reinhilt Schneider als Glumdalclitch wirkte irgendwie fehl am Platze ... und letzteres sollte wirklich etwas heißen! Musikalisch retteten die Ein- und Ausleitungen der »24 bunten Kinderlieder« (E 2075) auch nicht viel, so dass das Hörspiel im Ergebnis meist bei mir im Plattenregal herumstand. Umso erstaunlicher ist die Tatsache, dass gerade diese Produktion im Jahre 2002 unter dem Label LITERA ihre Wiederveröffentlichung als CD erlebte. Fazit: Auf Grund der notwendigen Verarbeitung der "Kinderversion" des Romans von Jonathan Swift sei Frau Körting vollumfänglich entschuldigt, bei der Umsetzung mit dem damaligen Sprecherportfolio und der zur Verfügung stehenden Musik wäre allerdings mehr drin gewesen. |
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