Sollte dies etwa ein Alternativ-Cover zu den »Schauergeschichten« sein?
Diese Frage wird im Appendix dieser Kolumne gelöst.






Als das Hörspiel »Schauergeschichten« im Jahr 1969 erstmalig erschien, stellte es schon eine Besonderheit im EUROPA-Katalog dar, denn auch wenn einige Karl-May-Geschichten oder Abenteuerromane hier und da etwas derbere Stellen zu bieten hatten, so wurde mit den »Schauergeschichten« doch eine Grenze in Sachen Brutalität überschritten. Das erste Mal hatte man Gruselgeschichten auf dem Plattenteller, denn »Dracula - Jagd der Vampire« sollte erst ein Jahr später folgen.

Als Poe-Liebhaber besorgte Konrad Halver die Skript-Fassung der beiden Geschichten »Der Untergang des Hauses Usher« und »Froschhüpfers Rache«. Das Ensemble des Jahres 1969 war jenes, mit welchem auch »Hui Buh das Schlossgespenst«, »Raumschiff UX3 antwortet nicht«, der »Old Surehand«-Zweiteiler, »Das Vermächtnis des Inka«, »Dornröschen«, »Klaus Störtebeker« und »Ivanhoe« entstanden - immer gut zu erkennen an der Mitwirkung Hans Clarins, Hellmut Langes oder Claus Wilckes.

Allein für den langsam wahnsinnig werdenden Sir Roderick Usher holte Konrad Halver noch einmal seinen alten Freund Peter Folken vors Mikrophon, der sich mit dieser Rolle vom EUROPA-Label verabschiedete. Halver hatte den »Untergang des Hauses Usher« mit wenigen und wenn dann nur sehr unaufdringlichen Effekten eingespielt. Heute würde man eher "inszenierte Lesung" zu der Aufnahme sagen. Die »Froschhüpfer«-Geschichte geriet da schon etwas bewegter, was sich schon allein aus der beteiligten Personenzahl ergab.

Die Produktion wurde nie auf anderen rückwärtigen LP-Covern beworben und war - aber das ist nur eine Vermutung - nicht wirklich populär, denn bis heute stellt sie eine der eher schwer erhältlicheren Schallplatten dar, sodass die seinerzeit verkaufte Menge nicht besonders hoch gewesen sein dürfte. Eine Wiedergeburt erlebten die beiden Schauergeschichten dann 1976 als MC-Fassung. Das einzige Problem war: Die LP-Seiten wiesen deutlich unterschiedlich lange Laufzeiten auf - bei einer Schallplatte kein Problem, bei einer MC eher lästig für den Hörer.

Nun hätte man einfach den zeitlichen Mittelpunkt der Produktion ermitteln und hier den Seitenwechsel für die MC einbauen können. Allerdings hätte dieser mitten im Finale der Erzählung »Der Untergang des Hauses Usher« gelegen und der Geschichte sicherlich den Garaus gemacht. Wahrscheinlich war dies einer der Gründe, dass man sich für eine komplett neue Konvertierung entschied und jeder Geschichte eine MC-Seite widmete. Dies machte es aber notwendig, die deutlich längere erste Geschichte und die spürbar kürzere zweite Erzählung einander zeitlich anzugleichen.

Zu überbrücken waren circa neun Minuten Spielzeitdifferenz, und es war klar, dass man allein durch Kürzung der »Usher«-Geschichte dieses Ziel nicht erreichen konnte. So blieb denn nichts anderes übrig, als neben den Kürzungen der längeren Erzählung die kürzere gleichzeitig zu strecken. Dies geschah dann auch und zwar vor allem durch neue Musik und Synthesizer-Effekte. Auch gab es eine zusätzliche, wenngleich kurze Rolle: ein Diener (Andreas Beurmann) wurde in der Erzählung »Froschhüpfers Rache« eingebaut. Ach ja: und beide Geschichten wurden jetzt durch eine Titelansage eingeleitet (die man sicherlich damals bereits aufgenommen und lediglich bei der LP-Version weggelassen hatte).

Ein Wort noch zu der Cassettenausgabe an sich: Diese wurde zunächst in Kooperation mit der Zeitung BILD am Sonntag herausgebracht, was sich auf dem Etikett des MC-Gehäuses widerspiegelt. Der Einleger hingegen weist ebenfalls zwei Besonderheiten auf. Zum einen wurde - wohl wegen der besseren Lesbarkeit - der ursprünglich verschnörkelte Schriftzug »Schauergeschichten« mit einer besser erkennbaren Version überklebt. Zum anderen findet sich auf dem Cover ein Schreibfehler im zweiten Vornamen des Autors: Edgar Allen Poe.

Entgegen anderen Konvertierungen eines zunächst als LP veröffentlichten Hörspiels dürfte es sich vorliegend bei der am stärksten bearbeiteten Neufassung auf MC handeln, weshalb im Folgenden die Unterschiede vorgestellt werden sollen Wie bei jedem Versionenvergleich stehen Genauigkeit und Übersichtlichkeit in einem ständigen Konkurrenzkampf zueinander, und so habe ich versucht, die Detailtreue nicht zu Lasten der Übersichtlichkeit zu opfern. Zusammenfassend kann man wohl sagen, dass die MC-Version, die man auf Grund des Erscheinungsjahres 1976 wohl Heikedine Körting zurechnen darf, durch eine fulminantere Ausstattung in den Geräuschen und der Musik besticht, jedoch manchmal das stille Grauen der originalen Halver-Fassung etwas zukleistert. So zum Beispiel, wenn im Hause Usher die Uhr schlägt: Ist dies bei Halver nur sehr leise zu hören, dröhnt bei Frau Körting die Uhr erschreckend laut. Dadurch aber wird gerade die Darstellung von Ushers Überempfindlichkeit konterkariert, die ihn selbst leise Töne nicht ertragen lässt.

Welcher Version der Hörer schließlich den Vorzug gibt, mag jeder für sich entscheiden. So oder so bleiben die »Schauergeschichten« aus meiner Sicht jedoch ein Höhepunkt des EUROPA-Kataloges.





»Schauergeschichten«
(LP E 278)
braun = unverändert
orange = bearbeitet
rot = gestrichen
grün = neu enthalten


»Schauergeschichten«
(MC 4312)






Der Untergang des Hauses Usher
(31'20")
zum Vergleich Der Untergang des Hauses Usher
(21'44")








Froschhüpfers Rache
(22'01")
zum Vergleich Froschhüpfers Rache
(21'43")






Anmerkung: Der obige Text wurde von mir im Jahre 2000 für die Seite www.europa-vinyl.de im Rahmen des Specials Nr. 6 geschrieben. Die erneute Veröffentlichung in einer leicht bearbeiteten Version für www.claudius-brac.de erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Webmasters von www.europa-vinyl.de.






Appendix:

Haben Sie einmal versucht, ein LP-Cover nachzustellen? Nein? Komisch.

Nun, falls Sie dieses planen sollten, so seien Sie gewarnt: Solch ein Vorhaben ist nicht so leicht in die Tat umzusetzen, wie man denkt. Abgesehen von der Planung und der zeitlichen Koordination braucht man natürlich die notwendigen Utensilien, um eine eventuell notwendige Maskerade zu vervollkommnen. Im vorliegenden Fall waren die benötigten Kleidungsstücke schnell besorgt: Ein alter brauner Hut aus der eigenen Requisitenkiste, ein rotes Hemd (ebenfalls aus der hauseigenen Kleiderkammer), ein schwarzer Umhang aus dem Angebot einer amerikanischen Supermarktkette und schwarzer Sprühlack, um aus dem braunen Hut einen schwarzen zu machen. Sodann wurde sich am Samstag, den 24.06.2023, auf den Weg zum Ort der Fotoaufnahme gemacht, Schloss Ahrensburg bei Hamburg. Als Tageszeit wurde der frühe Abend gewählt, um zumindest ein wenig Dämmerung einfangen zu können.

Aber erst vor Ort wurde klar: Eine Aufnahme in der Dämmerung wird nicht zu bekommen sein, denn den Zutritt zum Schloss verhinderte täglich ab 17 Uhr ein Metalltor. Erschwerend kam hinzu, dass sich ein nicht unerheblicher Umstand seit dem Fototermin zur Aufnahme des LP-Covers verändert hatte: Der im Jahr 1969 noch trockengelegte Schlossgraben führte inzwischen wieder Wasser, sodass die Positionen von Fotograph und Motiv des originalen Motivs gar nicht mehr eingenommen werden konnten. Und als hätte jemand die Aufnahme verhindern wollen, waren die fleißigen Männer des Technischen Hilfswerks - Landesverband Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein - Ortsverband Ahrensburg am Ort des Geschehens. Himmel, wir wollten doch nur ein harmloses Foto machen!

Nach einem kurzen Zögern wurde aus dem letzten scheinbaren Hindernis jedoch das Schwert, mit dem alle drei gordischen Knoten durchschlagen werden konnten: Die freundliche Mannschaft des THW, deretwegen auch das Tor noch geöffnet war, ließ uns nicht nur das gewünschte Foto machen, sondern unterstützte uns mit Rat und Tat bei den Aufnahmen! Vor allem stellte sich heraus, dass die sympathische Truppe nicht nur die dort gedrehten Filme und Serien kannte (»Der grüne Bogenschütze« [1961], »Die seltsame Gräfin« [1961] sowie »Morden im Norden« [seit 2012]), sondern auch in der Hörspielszene durchaus bewandert war. Dies betraf die »drei ???« ebenso wie die alten Produktionen unter Konrad Halver. Selbst »Schubiduu ... uh«, das Schlossgespenst, welches in der gleichnamigen Hörspielserie von Peter Riesenburg Schloss Ahrensburg bewohnt, war den engagierten THW'lern selbstverständlich vertraut. Was für ein Zusammentreffen!

So wurde aus dem kleinen Plan, ein Coverfoto nachzustellen, ein durchweg erinnerungswürdiger Ausflug in das südliche Schleswig-Holstein. Daher geht an dieser Stelle ein aufrichtiger Dank für die ebenso zufällige wie herzliche Begleitung durch den THW-Ortsverband Ahrensburg, dessen Mitglieder - hätten wir nicht eine vertretbare Lösung für unser Foto gefunden - mit einem Augenzwinkern noch Watstiefel zur Begehung des Schlossgrabes sowie einen Scheinwerfer zur überzeugenden Nachahmung des auf dem Originalcover zu erkennenden Schattens (links im Bild) anboten.

Jungs, Ihr wart der Höhepunkt des Wochenendes für zwei alte Hörspielfreunde!





Die Helden des Tages vom Technischen Hilfswerk, Ortsverband Ahrensburg



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