»Fanny, schick' diese Kinder fort!
Irgendwohin! Schick' sie weg!«
[Onkel Quentin Kirrin]


Irgendwie war Onkel Quentin immer mein "Lieblingserwachsener". Gab es in ihm doch endlich mal jemanden, der realistischerweise nicht ständig Verständnis für die Jungdetektive einer Geschichte hatte. Er half den Kindern nicht bei ihren Ermittlungen, er mochte den Hund seiner Tochter nicht und er war kein liebenswert verschrobener Wissenschaftler, sondern ein übellauniger Pedant, dem man lieber aus dem Weg ging. Insoweit war er wirklich ein Unikum im Blyton-Universum, ebenso wie Georgina, die lieber ein Junge sein wollte, sich wie ein solcher kleidete und auch benahm. Das war für eine Kinderbuchreihe, die ab den 1940'er Jahren und dazu noch in England geschrieben wurde, schon etwas Ungewöhnliches. Aber: der Reihe nach.



Die Buchreihe

Die englische Schriftstellerin Enid Blyton (1897-1968) begann mit ihrer Buchreihe »Famous Five« (»Fünf Freunde«) im Jahr 1942 und schrieb bis zum Jahr 1963 insgesamt 21 Erzählungen. Mit Ausnahme des Jahres 1959 erschien pro Jahr genau eine Geschichte. Die Titel dieser Bände lauten:



(1)

Five on a Treasure Island

GB, 1942

=

Fünf Freunde erforschen die Schatzinsel

D, 1953

(2)

Five Go Adventuring Again

GB, 1943

=

Fünf Freunde auf neuen Abenteuern

D, 1953

(3)

Five Run Away Together

GB, 1944

=

Fünf Freunde auf geheimnisvollen Spuren

D, 1954

(4)

Five Go to Smuggler's Top

GB, 1945

=

Fünf Freunde auf Schmugglerjagd

D, 1954

(5)

Five Go Off in a Caravan

GB, 1946

=

Fünf Freunde beim Wanderzirkus

D, 1955

(6)

Five on Kirrin Island Again

GB, 1947

=

Fünf Freunde auf der Felseninsel

D, 1955

(7)

Five Go Off to Camp

GB, 1948

=

Fünf Freunde im Zeltlager

D, 1955

(8)

Five Get into Trouble

GB, 1949

=

Fünf Freunde geraten in Schwierigkeiten

D, 1955

(9)

Five Fall into Adventure

GB, 1950

=

Fünf Freunde helfen ihrem Kameraden

D, 1958

(10)

Five on a Hike Together

GB, 1951

=

Fünf Freunde auf großer Fahrt

D, 1958

(11)

Five Have a Wonderful Time

GB, 1952

=

Fünf Freunde und ein Zigeunermädchen

D, 1964

(12)

Five Go Down to the Sea

GB, 1953

=

Fünf Freunde verfolgen die Strandräuber

D, 1961

(13)

Five Go to Mystery Moor

GB, 1954

=

Fünf Freunde im Nebel

D, 1962

(14)

Five Have Plenty of Fun

GB, 1955

=

Fünf Freunde jagen die Entführer

D, 1961

(15)

Five on a Secret Trail

GB, 1956

=

Fünf Freunde wittern ein Geheimnis

D, 1962

(16)

Five Go to Billycock Hill

GB, 1957

=

Fünf Freunde als Retter in der Not

D, 1959

(17)

Five Get into a Fix

GB, 1958

=

Fünf Freunde im alten Turm

D, 1960

(18)

Five on Finniston Farm

GB, 1960

=

Fünf Freunde und das Burgverlies

D, 1965

(19)

Five Go to Demon's Rocks

GB, 1961

=

Fünf Freunde auf dem Leuchtturm

D, 1962

(20)

Five Have a Mystery to Solve

GB, 1962

=

Fünf Freunde machen eine Entdeckung

D, 1966

(21)

Five Are Together Again

GB, 1963

=

Fünf Freunde und der Zauberer Wu

D, 1965



Später wurde die Serie, wie oft bei den Kinderbuchreihen Enid Blytons, von anderen Autoren fortgesetzt, ohne dass dies ausdrücklich erwähnt wurde. Der Name Enid Blytons wurde vielmehr wie ein Markenzeichen verwendet, welches nur eben auf eine tatsächlich existente Person zurückging. Ein ähnliches Vorgehen wiederholte sich später mit Alfred Hitchcock und der »Three Investigators«-Reihe, wobei Alfred Hitchcock nie auch nur ein einziges Buch der Reihe geschrieben und lediglich aus Werbegründen seinen Namen zur Verfügung gestellt hatte.

Zunächst genossen die »Famous Five« keine außergewöhnliche Popularität in Deutschland, sondern reihten sich in die übrigen Bücher der Autorin ein, wie beispielsweise »Hanni und Nanni«, »Rätsel um« oder auch die »Abenteuer«-Reihe. Vereinzelt waren zwar Hörspiele um die »Fünf Freunde« erschienen - in der Regie von Kurt Vethake beim Label Ariola (»Fünf Freunde auf neuen Abenteuern«, »Fünf Freunde auf geheimnisvollen Spuren« sowie »Fünf Freunde auf Schmugglerjagd«) beziehungsweise in der Regie von Konrad Halver beim Label Teldec (»Fünf Freunde erforschen die Schatzinsel«), aber von einer Serie konnte man hinsichtlich der Hörspiele keinesfalls sprechen.



Die EUROPA-Hörspielreihe

Dies änderte sich jedoch schlagartig, als in den Jahren 1978 und 1979 ein Großteil der »Famous Five«-Romane im Rahmen einer britischen Fernsehserie verfilmt wurde. Die Handlung wurde in die Gegenwart - also in die 1970'er Jahre - verlegt und entsprechend modernisiert. Riesige Kragen, Schlaghosen und Koteletten kennzeichneten nun das Auftreten der handelnden Figuren, und es war nicht mehr zu erahnen, dass die ersten Abenteuer der vier Kinder plus Hund zum Teil noch aus den Kriegsjahren des 2. Weltkriegs stammten. Der Erfolg der Serie, die vielen Zeitgenossen noch aus dem »ZDF-Ferienprogramm« bekannt sein dürfte, war enorm.

Da man im Hause Miller die Konkurrenz durch das Fernsehen bereits erkannt hatte, ging man zum Großangriff über: man verpflichtete die Sprecher der vier Hauptrollen, Oliver Rohrbeck, Ute Rohrbeck, Oliver Mink und Maud Ackermann, und produzierte ab 1978 in flottem Tempo die »Fünf Freunde« als Hörspielserie. Als Erzähler wurde Lutz Mackensy eingesetzt, der damit endgültig "die Stimme" von Jugendhörspielen wurde. Musikalisch griff man auf frisch produzierte und zeitgemäße Hörspielmusik von Manfred Rürup zurück. Die Cover von Antje Rabausch nahmen eindeutig Bezug auf das Aussehen der Kinderdarsteller aus der TV-Serie und erhielten alle deutlich sichtbar eine Folgennummer (was bis dato bei EUROPA-Hörspielen nicht unbedingt üblich war). Allerdings verpasste man den Hörspielen im Vergleich zur Fernsehserie eine neue Titelmelodie, ganz offensichtlich um zumindest hier keine Tantiemen zahlen zu müssen. So erklang nun zu Beginn der Hörspiele Carsten Bohn mit den Worten



»Wir sind die Fünf Freunde,
Julian und Dick, Anne und George, und Timmy, der Hund.
Wir sind die besten Freunde, yeah ...«



Da bereits die oben erwähnten vier Hörspiele um die »Fünf Freunde« bei anderen Labeln erschienen waren, bediente sich Autorin Heikedine Körting zunächst in offenbar wahlloser Reihenfolge bei den noch nicht veröffentlichten Geschichten, sodass bereits 1978 die ersten vier Folgen erschienen. In diesen übernahm die spätere »Tante Fanny«, Ursula Sieg, sogar noch kleinere Nebenrollen. Dem aufmerksamen Sammler dürfte auffallen, dass bereits hier zwei weitere Katalognummern (115 644.6 und 115 645.4) freigehalten und erst im darauffolgenden Jahr mit zwei weiteren »Fünf Freunde«-Produktionen, den Folgen (5) und (6), belegt wurden. Offenbar war 1978 schon klar, dass weitere Folgen produziert werden sollten.

Dass man sich nicht um die Reihenfolge der Erzählungen scherte, brachte von Anfang an ein Problem mit sich, nämlich den unauflöslichen Widerspruch, aufeinander aufbauende Ereignisse notfalls in umgekehrter Reihenfolge wiedergeben zu müssen. Dies betraf zunächst die von vornherein ausgelassene Geschichte »Fünf Freunde erforschen die Schatzinsel«, welche mit dem ersten Besuch auf der Kirrin-Insel den Grundstein für weitere Handlungsfäden legt. Auch der in der Erzählung »Fünf Freunde und der Zauberer Wu«, Folge (5), besuchte Tinka wird in Folge (16), »Fünf Freunde auf dem Leuchtturm«, plötzlich nachträglich und dazu noch unter dem Namen Brummer in die Serie eingeführt. Lediglich das Zigeunermädchen Jo taucht dramaturgisch richtig in Folge (6), »Fünf Freunde helfen ihrem Kameraden«, bereits das erste Mal auf, sodass die weiteren Geschichten mit ihr sich problemlos in den Geschehensablauf der Hörspielreihe einfügen.

Aber auch andere Fehler wurden in den Hörspielbearbeitungen nicht ausgemerzt. So wechseln die Namen der handelnden Figuren ständig zwischen denen der englischen Vorlagen und den deutschen Übersetzungen hin und her. Während die Protagonisten ihre anglophon klingenden Namen behalten, werden die Nebenrollen oft mit "Herr" oder "Frau" angeredet. In »Fünf Freunde im Zeltlager«, Folge (2), werden aus Mr. und Mrs. Andrews beispielsweise Herr und Frau Andreas. Und auch bei den Währungen herrscht keine klare Linie. So gibt Dick in »Fünf Freunde helfen ihrem Kameraden« Jo eine Mark, obwohl man sich fraglos im englischen Königreich aufhält. In Folge (12), »Fünf Freunde auf der Felseninsel«, erklärt George, die Fünf Freunde hätten noch nie ferngesehen. Das ist zwar nicht wirklich unlogisch, aber ohne weitere Erklärung im Jahr 1979 immerhin seltsam.

Weiterhin erschienen im Jahr 1979 die Folgen (7) und (8) sowie später die Folgen (9) und (10). Die Folgen (7) und (8) sollten die letzten dieser Serie sein, in welchen die Musik von Manfred Rürup dominierte, denn in diesem Jahr trat Carsten Bohn auf den Plan, der mit seinen Kompositionen Hörspielgeschichte schreiben sollte. Seine Musik fand sofort in vielen Hörspielen flächendeckend Verwendung, so auch bei den »Fünf Freunden«. Lediglich die Titelmelodie der Hörspiele blieb unverändert, aber sie stammte ohnehin aus dem Schlagerfundus von Miller International. Angepasst werden musste auch die Gestaltung der Rückcover, denn inzwischen war nicht mehr ausreichend Platz vorhanden, um alle erschienenen Hörspiele zu bewerben.

Im Jahr 1980 erschienen keine neuen Folgen, dafür umso mehr ein Jahr später. Gemeinsam kamen die Folgen (11), (12) und (13) auf den Markt. Erst ab jetzt tauchen regelmäßig Tante Fanny und Onkel Quentin in den Hörspielen auf. Beide hatten bisher nur einen sehr kurzen Gastauftritt in Folge (8), zudem wurde Tante Fanny dort noch von Renate Pichler gesprochen. Ab jetzt bildeten Ursula Sieg und Harald Pages das ungleiche Ehepaar, von dem man meint, es sei bereits viel öfter in Erscheinung getreten. Und an dieser Stelle sei angemerkt, dass bereits die Buchserie einen nicht ganz zu übersehenden Logikfehler aufweist: während Julian, Dick, Anne und George unbegleitet die abenteuerlichsten Reisen unternehmen dürfen (man denke nur an die Urlaube mit Wohnwagen und Pferd!), so herrscht zuhause ein strenges und fast kinderfeindliches Regime, ausgeübt durch Onkel Quentin und Tante Fanny.

Mit den Folgen (14) bis (16) erschienen 1981 dann die letzten Folgen der Serie als LP. Die Besetzungslisten der Coverrückseiten bieten in diesem Jahr so viele Pseudonyme wie nie zuvor: "Luise Hackbarth", "Waldfried Zartling" und "Hasan Brack" seien hier stellvertretend genannt. Zu kaum einer der aufgeführten Nebenrollen wurde ein korrekter Sprecher angegeben. Ansonsten hatte sich innerhalb der Serie seit Folge (1) wenig verändert. Von wenigen Ausnahmen abgesehen waren nach wie vor dieselben Sprecher im Einsatz. Und auch die bisweilen bedenklichen Ansichten Enid Blytons über Erziehungsmethoden, Minderheiten und Moralvorstellungen hatten sich nicht geändert: Kinder haben zu gehorchen, Zigeuner sind immer verdächtig und Strafe muss sein.

Nach einem Jahr Pause wurden 1983 die letzten fünf, noch nicht vertonten Erzählungen veröffentlicht, unter ihnen die eingangs erwähnten Geschichten, die zunächst bei anderen Labeln erschienen waren. Mit diesen 21 Folgen hatte man damit mit den Sprechern der Fernsehserie alle Abenteuer vertont, die aus der Feder Enid Blytons stammen. Weitere Veröffentlichungen von Fremdautoren sollten als Buch und auch als Hörspiel folgen, wobei gleichzeitig die Sprecher der Hauptrollen ausgetauscht wurden. Aber das ... ist eine andere Geschichte.



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